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Lloyd's warnt vor Öl-Rausch in der Arktis

Geschrieben am . Veröffentlicht in Menschen & Politik.

Lloyd's of London mit Sitz in London ist ein internationaler Versicherungsmarkt und gleichzeitig das erste grosse Geschäftsunternehmen, welches vor den riesigen potentiellen Gefahren für die Umwelt durch Ölbohrungen in der Arktis warnt.

Zu hoffen ist, dass es in der Arktis nie zu solchen Bildern kommen wird.
Zu hoffen ist, dass es in der Arktis nie zu solchen Bildern kommen wird.

Das Finanzunternehmen schätzt, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre $100 Milliarden an neuen Investitionen in Richtung Norden fliesen werden, aber glaubt auch, dass mögliche Aufräum- und Reinigungsarbeiten in der Arktis nach einer Ölkatastrophe, besonders in den eisbedeckten Gebieten, mehrfache Hindernisse mit sich bringen werden, die zusammen genommen ein einzigartiges und hart zu bewältigendes Risiko darstellen wird. Richard Ward, der Vorstandsvorsitzende von Lloyd's, beschwört Firmen, nichts zu überstürzen, sondern es etwas langsamer anzugehen und genauer über die Konsequenzen dieser Taten nachzudenken, bevor Forschungen durchgeführt und die richtigen Sicherheitsmassnahmen getroffen werden konnten. Die Hauptbedenken, die in einem Bericht in Zusammenarbeit mit einer Expertenkommission der Chatham House Denkfabrik erstellt wurden, kommen zu einem Zeitpunkt, wo sich ein britischer Parlamentsausschuss mit der Zukunft der Arktis befasst und dies genau zwei Jahre nach der verheerenden Ölkatastrophe von BP im Golf von Mexiko.

Am 20. April 2010 kam es infolge verschiedener gravierender Versäumnisse zu einem schweren Zwischenfall, bei dem die Plattform in Brand geriet und zwei Tage später unterging.
Am 20. April 2010 kam es infolge verschiedener gravierender Versäumnisse zu einem schweren Zwischenfall, bei dem die Plattform in Brand geriet und zwei Tage später unterging.


Potentielle Ressourcenförderung ist bereits geplant

Mit dem Anstieg der globalen Temperaturen und dem gleichzeitigen Schmelzen der Eisdecke ist das kommerzielle Interesse für eine Region erwacht, von der geglaubt wird, dass sie etwa ein Viertel der weltweiten noch förderbaren fossilen Brennstoffe enthält. «Cairn Energy» und «Shell» gehören zu den Ölfirmen, die in den Küstengebieten von Grönland und Kanada bereits neue Förderplattformen eingerichtet haben oder deren Planung vorantreiben, während «Total» die Ausbeutung des Shtokman-Gebietes ins Auge gefasst hat. Dieses Gebiet ist das grösste potentielle Offshore-Arktis-Projekt mit bis zu $ 50 Milliarden an Investitionen und reicht mehr als 560 Kilometer in den russischen Sektor der Barents-See hinein. Eine Interessengemeinschaft unter der Führung von BP plant eine Investition von $10 Milliarden in die Entwicklung von Onshore-Ölfeldern in der autonomen Yamal-Nenets-Region in Russland, trotz der Erfahrungen, die man mit dem Untergang der Deepwater Horizon und der resultierenden Katastrophe in den relativ einfachen Gewässern des Golf von Mexiko gemacht hatte. Eine Reihe von Onshore Abbauplänen sind zusätzlich geplant, in denen unter anderem Lakshmi Mittal, der reichste Mann Grossbritanniens, eine Tagebaumine 300 Meilen innerhalb des Norpolarkreis eröffnen möchte, mit dem Versuch, Eisenerz mit einem Gesamtvolumen von bis zu £ 14 Milliarden (ca. 21 Mrd. CHF) zu fördern.

Ein Ölunfall in der Arktis hätte gravierende Folgen für Flora und Fauna. Verölte Vögel würden kaum eine Chance haben zu überleben.
Ein Ölunfall in der Arktis hätte gravierende Folgen für Flora und Fauna. Verölte Vögel würden kaum eine Chance haben zu überleben.


Lloyd's fördert Risiken zu Tage und fordert mehr Verständnis

Aber der neue Bericht von Lloyd's, verfasst von Charles Emmerson und Glada Lahn von der Chatham House Expertenkommission, sagt klar, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass zukünftige ökonomische Aktivitäten das arktische Ökosystem, welches bereits durch die Folgen des Klimawandels unter Druck ist, erheblich weiter stören werden. Das Wanderverhalten von Rentieren an Land und von Walen im offenen Meer könnte davon betroffen sein. Nicht nur durch den direkten Ausstoss von Schadstoffen in die arktische Umwelt können Ökosystem gestört werden, sondern auch besonders durch den Bau von Pipelines und Strassen, durch den Lärm von Offshore-Ölbohrungen, seismischen Untersuchungen oder zusätzlichem Schiffsverkehr sowie einfach durch das Aufbrechen des Meereisschilds. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Arktis nicht nur ein System ist, sondern aus mehreren verschiedenen Ökosystemen besteht, und dass sie auf sehr sensibel auf Störungen reagiert, die einen zeitlich sehr langen Einfluss haben werden. Sie fordern mehr Kenntnisse der Grundlagen über die natürliche Umwelt und kontinuierliche Umweltüberwachung. Schadstoffquellen beinhalten Minen, Öl- und Gasförderinstallationen, Industriegebiete, und in der russischen Arktis Nuklearabfälle aus zivilen und militärischen Einrichtungen und aus dem Atomwaffentestgebiet auf Novaja Zemlya, Der Bericht hebt eine potentielle Ölpest als «das grösste Risiko in Bezug auf Umweltschäden, potentiellen Kosten und Versicherung» hervor - sagt aber auch, dass es substantielle Wissenslücken dahingehend bestehen.

Die Ölplattform im Hafen von Murmansk. Amerikaner und Russen wollen gemeinsam die Ressourcen der Arktis ausbeuten.
Die Ölplattform im Hafen von Murmansk. Amerikaner und Russen wollen gemeinsam die Ressourcen der Arktis ausbeuten.


Grosse Lücken im Verständnis der arktischen Ökosysteme

Die natürlichen Abbaurate (Biodegradation) von Öl in der Arktis werden wahrscheinlich niedriger sein als in den gemässigten und wärmeren Breiten wie beispielsweise im Golf von Mexiko. Aber es herrscht im Moment ein ungenügendes Verständnis, wie Öl in der Arktis über einen längeren Zeitraum abgebaut werden soll. Meereis könnte einige der Techniken, die im Falle einer Ölpest angewendet werden unterstützen, zum Beispiel beim Verbrennen an Ort und Stelle oder bei der Verwendung von chemischen Dispersionsmittel. Dies würde jedoch zu Luftverschmutzung und einer Freisetzung von Chemikalien ins Meer führen, ohne dass man dann wüsste, woher das treibende Eis sie bringen würde.

Eine weitere Herausforderung bilden die unklaren Grenzverläufe, die aufgrund eines Mosaik von Bestimmungen und Regierungsgewalten bestehen. Der Lloyd's - Bericht führt auf, dass es keine verbindlichen internationalen Leistungspflichten und Kompensationsbestimmungen für eine Ölpest gibt. Ein gegenwärtig diskutierter EU-Vorschlag diesbezüglich würde die Offshore-Ölprojekte in den arktischen Gebieten von Norwegen und Dänemark und womöglich auch alle EU-basierenden Firmen in allen arktischen Gebieten betreffen, jedoch nicht Russland, Kanada und die USA.

In der Zwischenzeit beschäftigt sich eine weitere Expertengruppe mit Vorschlägen für den internationalen Arktisrat zur Schaffung eines international anerkannten Instruments gegen Ölverschmutzung des Meeres, damit der Reinigungs- und Kompensationszahlungsprozess in Zukunft beschleunigt wird. Diese Vorschläge sollen nächstes Jahr vorgestellt und darüber entschieden werden. Grönland argumentiert, dass unterschiedliche nationale Systeme zu Unklarheiten und unnötigen Verzögerungen bei Rettungsmassnahmen und Kompensationszahlungen führen können und dass jegliche Regelwerke an ein Worst-Case-Szenario angepasst werden müssen.

Der Bericht von Lloyd's führt aus, dass Unzulänglichkeiten von Firmen und Regierungen im Falle eines Desasters sich beim Unfall im Golf von Mexiko klar gezeigt hätten. Eine kleinere Gesellschaft als BP, die mit den geschätzten $ 40 Milliarden an Kosten für Aufräum- und Reinigungsarbeiten und Kompensationszahlungen konfrontiert gewesen wäre, wäre mit grösster Sicherheit bankrottgegangen und hätte den Staat, bzw. den Steuerzahler in der Pflicht belassen, die Rechnung dafür zu zahlen.

Ein Ölunfall wie bei der «Deepwater Horizon» würde die Zerstörung für das einmalige und empfindliche Ökosystem der Arktis bedeuten.
Ein Ölunfall wie bei der «Deepwater Horizon» würde die Zerstörung für das einmalige und empfindliche Ökosystem der Arktis bedeuten.


Mehr Forschung gefordert, bevor die Gebiete nachhaltig genutzt werden können

Lloyd's meint, dass es unbedingt notwendig sei, mehr in Wissenschaft und Forschung zu investieren, um die Wissenslücken zu schliessen, die Unsicherheiten zu reduzieren und Risiken besser bewerten zu können. Weiter fordern sie beträchtliche Investitionen in die Infrastruktur und die Überwachung zur Sicherstellung einer sicheren ökonomischen Aktivität und vertreten die Auffassung, dass massstabgetreue Simulationen bei einer Umweltkatastrophe basierend auf Worst-Case-Szenarien, vorher von Firmen durchgeführt werden müssen. Einige Umweltverbände argumentieren jedoch aufgrund der gefährdeten Umwelt der Arktis, ihres unvorherse