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Der zahnlose Wal – Barten kamen erst nach den Zähnen

Geschrieben von Dr. Michael Wenger am . Veröffentlicht in Fauna & Tierwelt.

Eines der herausragenden Merkmale der grossen Wale ist ihre Ernährung. Gerade bei den Bartenwalen sind die namensgebenden Hornplatten im Mund einzigartig in der Tierwelt. Als Filtrierapparat entwickelt, helfen sie den Tieren, Krill in der Antarktis aus dem Wasser zu sieben und tonnenweise die Kleinkrebse zu vertilgen. Doch lange war die Entwicklung dieser Platten ein Geheimnis geblieben. Nun haben Forscher etwas Licht ins Dunkel gebracht. Brisant dabei: Wale verloren erst ihre Zähne und entwickelten erst danach die Barten.

Viele Walarten ziehen jedes Jahr von den temperaten Gebieten Südamerikas, Afrikas oder Australiens in die Antarktis. Dort finden sie mehr als genügend Nahrung, die relative einfach herausfiltriert werden kann. Bild: Michael Wenger
Viele Walarten ziehen jedes Jahr von den temperaten Gebieten Südamerikas, Afrikas oder Australiens in die Antarktis. Dort finden sie mehr als genügend Nahrung, die relative einfach herausfiltriert werden kann. Bild: Michael Wenger

In der Evolution der Wale sind immer wieder neue und einzigartige Strukturen und Lebensweise entwickelt worden. Dazu gehören die Schwanzfluken genauso wie die Lage der Blaslöcher auf der Oberseite des Schädels. Besonders die Barten, flexible, aber harte Filtrierplatten am Oberkiefer von Bartenwalen, sind einmalig im Tierreich. Forscher des Smithsonian Instituts und verschiedener Universitäten haben bei neuen Untersuchungen an den Überresten von Maiabalaena nesbittae, einem 33 Millionen Jahre alten Urwal, herausgefunden, dass das Tier weder Zähne noch Barten hatte. „Wenn wir über Walevolution sprechen, fokussieren die Lehrbücher vor allem auf die frühen Bereiche, als die Tiere vom Land ins Meer gingen“, erklärt Nicholas Pyenson, Kurator für fossile Meeressäugetiere am Smithsonian Institut. „Maiabalaena zeigt uns, dass die zweite Phase der Walentwicklung für grosse Entwicklungen genauso wichtig war. Zum ersten Mal können wir relativ genau sagen, wann das Filtrieren sich entwickelt hat, eine grosse Erfindung in der Geschichte der Wale.“ Zuerst hatten die Wale noch ihre Zähne genutzt, um ihre Nahrung zu kauen, genauso wie es die Landvorfahren getan hatten. Einig Wale behielten die Zähne, um hier Nahrung weiterhin zu kauen. Aber während sich die Ozean veränderten und die Tiere sich entwickelten, entstanden ganz neue Fressstrategien, darunter auch die Filtrierung, fügt Carlos Mauricio Peredo, Doktorand am Smithsonian und Hauptautor der Studie an.

Carlos Peredo vom Smithsonian hat die Untersuchungen an Maiabalaena nesbittae durchgeführt und herausgefunden, dass der Urwal nicht nur keine Zähne, sondern auch keine Barten aufwies. Dafür hatte das Tier andere Methoden, sich zu ernähren. Bild: Smithsonian
Carlos Peredo vom Smithsonian hat die Untersuchungen an Maiabalaena nesbittae durchgeführt und herausgefunden, dass der Urwal nicht nur keine Zähne, sondern auch keine Barten aufwies. Dafür hatte das Tier andere Methoden, sich zu ernähren. Bild: Smithsonian

Die fossilen Überreste des Urwals, die seit den 1970er Jahren bekannt sind, sind wegen ihres Alter besonders interessant, meint Peredo. Denn Paläontologen vermuteten, dass Maiabalaena wichtige Hinweise zur Bartenevolution enthielt. Das Fossil stammt aus einer Periode massivster geologischer Veränderungen, als das Eozän in das Oligozän überging. Mit den sich verschiebenden Kontinenten und auseinanderdriften, waren zum ersten Mal durchgehende Strömungen rund um Antarktika möglich, was zu einer Abkühlung des Meeres führte. Gemäss der Untersuchungen entwickelten sich die Walernährungsarten rasch innerhalb dieses Zeitraums und führte zur Trennung der Filtrierer und der Arten mit Echolokation. Mithilfe von neuesten CT-Scantechnologien konnte Peredo die Schädel- und Kieferknochen des Fossils genauer untersuchen. Es war schön lange bekannt, dass Maiabalaena keine Zähne hatte. Doch die CT-Aufnahmen der inneren Knochenanatomie zeigten, dass der Oberkiefer des Wals dünn und schmal war, was die Oberfläche unpassend für das Anbringen von Barten machte. „Ein lebender Bartenwal besitzt ein grosses, breites Munddach, das auch noch verdickt ist, um eine Ansatzstelle für die Bartenplatten zu bilden“, erklärt Peredo. „Doch Maiabalaena besitzt das nicht. Wir können mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass diese Art keine Zähne und auch höchstwahrscheinlich keine Barten besessen hatte.“ Dafür hatte das Tier starke Backen und eine zurückziehbare Zunge, was das Tier dazu befähigte hatte, grosse Mengen an Wasser einzusaugen und damit auch Fische und kleine Tintenfische. Diese Form der Nahrungsaufnahme hätte Zähne, deren Wachstum ziemlich viel Energie kostet, nutzlos gemacht. Dieser Verlust der Zähne startete die Entwicklung der Barten, die gemäss Angaben der Forscher rund fünf bis sieben Millionen Jahre später erschienen. Diese Anpassungsfähigkeit könnte Walen auch heute helfen, den Veränderungen, denen die Ozeane ausgesetzt sind, entgegenzutreten. Doch Peredo warnt vor zuviel Optimismus, denn die die evolutionären Anpassungen bei grossen Walen könnten zu langsam sein, mit ihrer langen Lebenserwartung und der langsamen Fortpflanzungszeit. „Betrachtet man das Ausmass und die Veränderungsrate der heutigen Ozeane, wissen wir nicht genau, was das für die verschiedenen Bartenwalarten bedeuten wird“, erklärt Peredo. „Wir wissen, dass sich in der Vergangenheit die Wale verändert hatten. Doch jetzt ist eine Frage, ob sie Schritt halten können mit den Veränderungen der Ozeane – und wir verändern die Ozeane unglaublich schnell.“

Verschiedene Walarten haben verschiedene Bartentypen. Die längsten Barten sind bei Grönlandwalen zu finden, die kleinsten bei Zwergwalen. Buckelwale, die sehr häufig ihre Barten bei Fressen zeigen, liegen eher in der Mitte. Bild: Michael Wenger
Verschiedene Walarten haben verschiedene Bartentypen. Die längsten Barten sind bei Grönlandwalen zu finden, die kleinsten bei Zwergwalen. Buckelwale, die sehr häufig ihre Barten bei Fressen zeigen, liegen eher in der Mitte. Bild: Michael Wenger

Quelle: Smithsonian National Museum of Natural History