Seeelefanten müssen tiefer tauchen.
Die Südlichen Seeelefanten von Marion Island, einer Insel im südwestlichen Teil des Indischen Ozeans, sind im wahrsten Sinne des Wortes Extremtaucher. Die Tiere verbringen mehr als 65 Prozent ihrer Lebenszeit in Tiefen von über 100 Metern und tauchen dabei noch deutlich tiefer als Artgenossen aus südlicheren Revieren. Die maximale Tauchtiefe dieser Robben liegt bei über 2000 Metern. Die Wassermassen aber, welche die Seeelefanten von Marion Island bei ihrer Nahrungssuche durchschwimmen, werden im Zuge des Klimawandels zunehmend wärmer und zwingen die Tiere, tiefer zu tauchen. Der Südliche Ozean erwärmt sich vor allem in den Wasserschichten bis 1000 Metern Tiefe und damit in jenen Bereichen, in denen es eigentlich Kalmare oder auch Fische geben sollte. «Diese Beutetiere aber weichen vermutlich aufgrund der steigenden Wassertemperaturen in grössere Tiefe aus, was die Robben zwingt, ihnen zu folgen», sagt Dr. Horst Bornemann vom Alfred-Wegener-Institut.
Er und sein Kollege Dr. Joachim Plötz statteten gemeinsam mit Dr. Trevor McIntyre und anderen Robbenforschern vom südafrikanischen Mammal Research Institute (MRI) im Verlauf mehrerer Jahre über 30 Seeelefanten mit Satellitensendern aus. Diese faustgrossen Geräte werden den Robben unmittelbar nach dem Haarwechsel mit Kunstharz auf die Kopfpartie geklebt und zeichnen bei jedem Tauchgang der Tiere die Tauchtiefe, die Wassertemperatur und den Salzgehalt auf. Kommt das Tier anschliessend zum Atmen wieder an die Meeresoberfläche, übertragen die Messgeräte ihre Daten via Satellit an die jeweiligen Forschungsinstitute. Die Ergebnisse zeigen, dass die Seeelefanten im wärmeren Wasser tiefer tauchen müssen, weshalb ihnen am Ende weniger Zeit für die eigentliche Nahrungssuche bleibt. «Wir gehen deshalb davon aus, dass die Tiere in wärmeren Wassermassen auch weniger Beute machen», erklärt Joachim Plötz.
Um Beweise für diese These zu sammeln, reisen die Bremerhavener Wissenschaftler im April 2012 wieder nach Marion Island. Diesmal wollen sie Tiere mit einem sogenannten Kieferschlag-Sensor ausstatten. Der Sensor wurde von japanischen Biologen am National Institute of Polar Research in Tokio entwickelt. Er ist kaum grösser als ein kleiner Finger und vermerkt, wann immer die Robbe ihr Maul öffnet. «Bisher können wir am Tauchprofil nur ablesen, ob ein Seeelefant vermutlich gerade einen Fischschwarm verfolgt hat. Mit diesem neuen Messgerät erfahren wir, ob er auch tatsächlich gefressen hat», sagt Joachim Plötz.
Mithilfe dieser Fress-Daten wollen die AWI-Biologen Rückschlüsse auf die räumliche und zeitliche Verteilung besonders produktiver Zonen im Südpolarmeer ziehen. «Die Nahrung im Meer ist ungleich verteilt. Nicht überall und zu jeder Zeit lohnt es sich für die Robben zu fischen. Anhand der neuen Daten werden wir hoffentlich sehen, auf welchen Routen die Seeelefanten von Marion Island aus wandern und in welchen Wasserschichten sie auf Nahrung stossen», sagt Horst Bornemann.
Für dieses Forschungsziel nehmen die Wissenschaftler auch tagelange Fussmärsche über die Insel in Kauf. «Die Seeelefanten von Marion Island sind sehr standorttreu. Sie kommen sowohl zum Haarwechsel als auch zur Fortpflanzung immer wieder zu dieser Insel zurück. Dieses Verhalten eröffnet uns die Chance, stets dieselben Tiere mit Messgeräten auszustatten und so Einblick in die Bewegungsmuster einzelner Tiere zu bekommen. Ihre Wander- und Tauchrouten wiederum helfen uns herauszufinden, wo sich die ozeanischen Nahrungsgründe der Seeelefanten von Marion Island befinden», erklärt Joachim Plötz.
Inwieweit sich die Tiere dieses ziemlich weit im Norden gelegenen Seeelefanten-Bestandes auf die Ozeanerwärmung einstellen können, bleibt abzuwarten. Die Wissenschaftler aus Deutschland und Südafrika sehen für die Tiere nur zwei Alternativen: Entweder weiten die Robben ihre Jagdreviere bis in die kälteren Wassermassen der Antarktis aus oder sie müssen künftig noch tiefer tauchen. Die Seeelefanten von Marion Island gehen bei ihren Tauchgängen schon heute bis dicht an ihr physiologisches Limit. Eine Erkenntnis, welche die Biologen zu der Einschätzung kommen lässt, dass dieses Tieftauchverhalten die Überlebensrate der Robben langfristig verringern könnte.
Quelle: AWI Bremerhaven