Erderwärmung betrifft alle Regionen der Antarktis
Der Südpol ist die eisigste Region der Welt, doch nun präsentieren US-Wissenschaftler brisante Messdaten. Diese belegen, dass die Antarktis seit einem halben Jahrhundert als Ganzes wärmer wird. Zeitgleich berichten britische Forscher, dass ein gigantischer Eisbruch unmittelbar bevorsteht.
Die Antarktis wird als Ganzes wärmer, fasst Eric Steig von der «University of Washington» in Seattle die Entwicklung der vergangenen 50 Jahre zusammen. Warum die Nachricht von der wärmeren Antarktis spektakulär ist, erklärt sich aus einer lang währenden Diskussion. Bisher war unklar, ob die Antarktis als Ganzes sich erwärmt oder doch eher abkühlt. Klar war, dass der Westen und die Landzunge, die weit nach Norden in Richtung Südamerika ragt, sich tatsächlich deutlich erwärmt haben. Der grosse Rest schien sich nach der Auswertung vieler Daten und entgegen dem globalen Temperaturtrend sogar klar abzukühlen. Die Antarktis als Ganzes schien sich also vom Klimawandel abgekoppelt zu haben. Dafür nannten Klimaforscher mehrere Gründe. Einerseits besteht über dem Südpol ein ausgedehntes Ozonloch, vor allem im Frühling. Das bewirkt, dass das Innere des Kontinents abkühlt. Die Halbinsel und der Westen sind davon durch die trennenden «Transantarctic Mountains» abgekoppelt. Ausserdem schirmt eine starke um den Pol laufende Luftströmung, die Antarktis vom wärmenden Einfluss der gemässigten Breiten ab. Davon weniger betroffen ist die weit nach Norden ragende Antarktische Halbinsel.
Doch die Datenlage zum Inneren des südpolaren Kontinents war spärlich, denn es mangelte an Messstationen. Jetzt legen die US-Klimaforscher um Eric Steig und Drew Shindell vom Goddard-Institut für Weltraumwissenschaften der Nasa in New York im Fachmagazin «Science» neue Zahlen vor. Sie betrachteten den Zeitraum von 1957 bis 2006. Dazu nutzten sie alle verfügbaren Daten von bis zu 46 Wetterstationen. Das ergänzten sie mit Temperaturmessungen von Satelliten aus 30 Jahren und wandten mathematische Verfahren an, um die verbleibenden räumlichen und zeitlichen Lücken sinnvoll zu schliessen.
Das Ergebnis: In Zeitraum der letzten 50 Jahre stieg die Temperatur der Gesamt-Antarktis um rund ein halbes Grad, ein Zehntelgrad pro Dekade. Zum Vergleich: Global betrug die Zunahme über den Kontinenten 0,17 Grad pro Jahrzehnt. Die Temperaturerhöhung in der Antarktis geht wie erwartet auf die Erwärmung der westlichen Regionen und der Halbinsel zurück. Dort stiegen die Temperaturen um mehr als ein Zehntelgrad pro Jahrzehnt, dadurch wurde eine leichte Abkühlung des Landesinneren mehr als kompensiert. Die Satellitendaten scheinen verlässlich zu sein, denn sie stimmen dort, wo sie sich überlappen, gut mit den Messungen der Wetterstationen überein.
Die kräftige Temperaturerhöhung in der Westantarktis führen die Forscher darauf zurück, dass sich die Windsysteme verändert haben, was die Einflüsse der gemässigten Breiten verstärkt. Zudem hat die Eisbedeckung des Meeres abgenommen, und Wasser absorbiert mehr Sonnenlicht als Eisflächen.
Unterdessen berichtet David Vaughan vom British Antarctic Survey, dass das riesige «Wilkins-Schelfeis» vor der Halbinsel wegen der Erwärmung kurz vor dem Abbruch steht. «Es könnte jede Minute geschehen», so Vaughan. Die Region hatte früher eine Fläche von etwa 16000 Quadratkilometern. Inzwischen ist sie um etwa ein Drittel geschrumpft. Während die Eisscholle 1950 noch über eine 100 Kilometer breite Zunge mit dem Festlandeis verbunden war, misst die Verbindung heute nur noch 500 Meter. Bereits 1995 und 2002 waren ähnlich grosse Eisflächen abgebrochen. Klima- und Meeresforscher warnen deshalb, die Erderwärmung könnte sich beschleunigen, weil Eis Sonnenlicht reflektiert.