Walfänger können auf Comeback hoffen
Tierschützer schlagen Alarm: Der kommerzielle Walfang könnte schon bald wieder teilweise legalisiert werden, in der Internationalen Walfangkommission kursiert eine entsprechende Vorlage. Sogar mächtige Anti-Walfang-Länder wie die USA sollen einverstanden sein - aus Rücksicht auf Japan.
Álvaro de Soto kennt die Brennpunkte dieser Erde: Im Nahen Osten, in Burma, Zypern und Zentralamerika hat der Peruaner ein Vierteljahrhundert für die Uno gearbeitet. Als Vermittler hat er gelernt, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen - und dass man in der Diplomatie manchmal Kröten schlucken muss, um übergeordnete Ziele durchzusetzen.
Man fragt sich, was derzeit das übergeordnete Ziel für de Soto ist. Seit einiger Zeit befasst sich der professionelle Konfliktlöser vor allem mit den Ozeanen - als Chef einer speziellen Arbeitsgruppe der Internationalen Walfangkommission (IWC). Die Gruppe aus 28 Staaten, genannt «Small Working Group» (SWG), hat keine geringere Aufgabe, als das Auseinanderbrechen des mehr als 60 Jahre alten Gremiums abzuwenden. Und möglicherweise ist dieses Ziel manchem Diplomaten wichtiger als der Schutz der Wale, um den es eigentlich gehen sollte.
Zwischen Walfang-Gegnern und -Befürwortern in der IWC klaffen seit Jahren tiefe Gräben. Besonders die Japaner benehmen sich auf den Treffen der Kommission reichlich rabiat: Weil das Land weiter Wale erlegen will, droht Tokio immer wieder unverhohlen mit Austritt. Norwegen und Island erkennen das Verbot des kommerziellen Walfangs ebenfalls nicht an. Auf einer speziellen Liste finden sich immerhin 33 Konfliktpunkte, die das Weiterexistieren der IWC gefährden. Nun hat de Soto einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der ein Ende der Walfangkommission verhindern soll - und nach Ansicht von Umweltschützern eine Gefahr für die Wale der Weltmeere ist.
Fünf Schiffe sollen auf Waljagd gehen dürfen
Die Vorlage ist nach zwei SWG-Treffen in St. Petersburg (US-Bundesstaat Florida) und im britischen Cambridge im vergangenen Jahr entstanden. Als sogenanntes «Non-Paper» handelt es sich ausdrücklich nicht um ein offizielles Dokument der IWC. Einstweilen soll so der diplomatische Druck möglichst niedrig gehalten werden. Denn de Sotos Vorschlag hat es in sich: Er sieht vor, Japan wieder eine reguläre Waljagd in seinen Küstengewässern zu erlauben. Derzeit betreibt Tokio seine Fangflotte unter dem Deckmantel der Forschung, für die nach internationalem Recht das Erlegen von Walen erlaubt ist.
Das SWG-Papier schlägt nun vor, den Japanern für zunächst fünf Jahre den Fang von Zwergwalen regulär zu gestatten. Tokio hätte dann sein Gesicht gewahrt - und keinen Grund mehr, die IWC zu verlassen. Dem Vorschlag zufolge dürften maximal fünf Schiffe aus den Küstenorten Taiji, Abashiri, Ayukawa und Wada zur Waljagd auslaufen. Die Dauer der Fangmissionen wäre jeweils auf einen Tag begrenzt. Doch auch wenn das zunächst nach wenig klingt, wäre eine solche Entscheidung ein Dammbruch, beklagen Umweltschützer: «Sobald man den Walfang wieder legalisiert, öffnet das die Tür für weiteren illegalen Walfang und Schmuggel», sagt etwa Thomas Henningsen von Greenpeace im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Bisher gibt es international keinen Markt für Walfleisch. Doch das würde sich ändern, wenn die Japaner wieder legal auf die Jagd gehen dürften. «Man kann das nicht kontrollieren», beklagt Henningsen. Er befürchtet weiteren Schaden für die Wale, die bereits durch Klimawandel und die Fischerei bedroht seien, bei der sie allzu oft als ungewollter Beifang ins Netz gingen. Der Umweltaktivist Mark Simmons von der Whale and Dolphin Conservation Society beklagt, der Vorschlag sei die «De-facto-Aufhebung» des derzeit geltenden Walfangmoratoriums.
Auf ein besonders pikantes Detail weist Henningsen hin: «Es ist erschreckend, wie viele Anti-Walfangländer, darunter auch Deutschland, diesen Vorschlag mitgetragen haben». Die britische Zeitung «The Independent» berichtet ebenfalls, dass das De-Soto-Papier von mächtigen Walfang-Gegnern bereits abgenickt wurde. Selbst die USA hätten zugestimmt.
Das lässt sich wohl nur mit der Sorge um den Fortbestand der IWC erklären. Denn auch beim wissenschaftlichen Walfang könnte der Vorschlag in Zukunft Verschlechterungen mit sich bringen. Derzeit nutzen die Japaner die Regelung als Schlupfloch für die Einsätze ihrer Walfangflotte im Südozean. Nach den Fangzügen gelangen dann oft grosse Mengen Walfleisch in den Handel - manchmal legal, manchmal auch illegal.
De Soto präsentiert nun zwei Varianten: In der einen läuft die Sondergenehmigung über einen Zeitraum von fünf Jahren aus. In der anderen werden die Fangzüge in den antarktischen Gewässern quasi vollständig legalisiert. Japan hat bereits ausgeschlossen, den angeblich wissenschaftlichen Walfang aufzugeben. Wenn das Land auf dieser Position beharrt, bliebe also nur Variante zwei.
Auf einem Treffen in Rom beraten die IWC-Staaten in knapp zwei Wochen über die Vorschläge. In den Sitzungssälen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno an der Viale delle Terme di Caracalla dürfte sich zeigen, wie viel Unterstützung der Vorschlag von Álvaro de Soto auch offiziell bekommt. Vielleicht aber halten sich die Unterstützer noch bedeckt. Greenpeace-Mann Henningsen ahnt in jedem Fall Böses: «Vielleicht ist es noch nicht dieses Jahr soweit, vielleicht auch noch nicht nächstes. Aber im Endeffekt könnte es auf einen solchen Deal hinauslaufen».
Quelle: Spiegel Online / Christoph Seidler