Forscher messen Rekord-Erosion am Flussufer in Alaska
Die tauenden Permafrostböden Alaskas kosten die USA laut Schätzungen mehrere 100 Millionen Dollar pro Jahrzehnt – vor allem, weil Flughäfen, Strassen, Pipelines und Siedlungen aufgrund absackender Böden und erodierender Uferlinien verlegt werden müssen. Ein internationales Forscherteam hat nun am Itkillik River im Norden Alaskas Flussufer-Erosionsraten gemessen, die alle bisherigen Rekordwerte übertreffen. In einem Landstrich mit besonders viel Eis im Boden frisst sich der Itkillik River pro Jahr 19 Meter tief in das Ufer, berichten die Forscher in einer kürzlich erschienenen Studie im Fachmagazin Geomorphology.
«Diese Ergebnisse zeigen, dass das Tauen von Permafrost nicht ausschliesslich langsam vonstattengeht, sondern seine Folgen auch kurzfristig und unmittelbar spürbar werden», sagt Permafrost Forscher Dr. Jens Strauss von der Potsdamer Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Er hatte gemeinsam mit Kollegen aus den USA, Kanada und Russland den Itkillik River an einer Stelle untersucht, an welcher der Fluss durch ein Plateau schneidet, dessen Untergrund zu 80 Prozent aus purem Eis und zu 20 Prozent aus gefrorenen Sedimenten besteht. «Dieses Bodeneis ist 13.000 bis mehr als 50.000 Jahre alt, reicht säulenartig bis in eine Tiefe von mehr als 40 Meter und hat die Uferzone des Flusses in der Vergangenheit stabilisiert», so Jens Strauss.
Wie die mehrjährige Forschungsarbeit der Wissenschaftler jedoch ergab, versagen diese Stabilisationsmechanismen, wenn zwei Faktoren aufeinandertreffen: 1. der Fluss über einen langen Zeitraum fliessend Wasser führt; 2. die Uferlinie aus einer Steilklippe besteht, deren Front Richtung Süden zeigt und damit viel direktes Sonnenlicht abbekommt.
Jens Strauss: «Der schnelle und vor allem lang anhaltende Zerfall dieser Klippe hat zwei Gründe. Zum einen ist das Flusswasser wärmer als der Permafrost, lässt ihn tauen und transportiert das herabfallende Material gleich ab. Dieser Abtransport geht besonders schnell vonstatten, wenn der Eisanteil im Boden sehr hoch ist.»
Zum anderen taue die Klippe aufgrund der Sonnenlage. «Auch wenn die Jahresdurchschnittstemperatur in dieser Region bei minus zwölf Grad Celsius liegt, wird es in der Sonne so warm, dass im Sommer Eisklumpen und Matsch in Strömen den Abhang hinabrutschen», berichtet Studien-Erstautor Mikhail Kanevskiy von der Universität Alaska Fairbanks.
Insgesamt zog sich die rund 700 Meter lange und 35 Meter hohe Klippe im Zeitraum von 2007 bis 2011 um bis zu 100 Meter zurück. Dabei ging eine Landfläche von rund 31.000 Quadratmetern verloren. Sie entspricht der Grösse von rund 4,3 Fußballfeldern. In Eis- und Erdmasse umgerechnet, trug der Itkillik River pro Jahr 70.000 Tonnen Material davon – darunter 880 Tonnen organisches Material (gebundener Kohlenstoff), das vorher im Permafrostboden gespeichert war.
Die Wissenschaftler wurden zudem im August 2007 Zeuge, wie sich innerhalb weniger Tage bis zu 100 Meter lange und 13 Meter tiefe Risse im Plateau bildeten und ein 800 Quadratmeter grosser Block in die Tiefe stürzte. «Ein solcher Abbruch läuft nach einem festen Muster ab. Zuerst taut der Fluss die Steilklippe an und spült eine Nische in ihren Sockel. Von dort ausgehend bilden sich entlang der grossen Eissäulen Risse im Boden. Der Block löst sich anschliessend Stück für Stück von der Klippe und stürzt ab», erklärt Jens Strauss.
Zum Glück liegt der Flussabschnitt mit den hohen Erosionsraten in einer nahezu menschenleeren Gegend, sodass weder Dörfer noch wichtige Bauten wie Strassen oder Brücken gefährdet sind. Jens Strauss gibt das Ausmass der Ufererosion dennoch zu denken: «Wie schnell sich eine Uferlinie zurückzieht, hängt in den Permafrost Gebieten vom Eisgehalt im Boden und den geografischen Gegebenheiten ab. Angesichts der steigenden Durchschnittstemperatur in der Arktis zeigt unser Beispiel am Itkillik River aber schon mal, welches Tempo die Erosion aufnehmen kann.»
Nun gilt es, dieses neue Wissen zum Beispiel bei der Planung neuer Siedlungen, Stromtrassen oder Verkehrsadern zu berücksichtigen. «Ausserdem beeinträchtigt die Erosion die Wasserqualität der Flüsse. Ein Fakt, der vor allem für jene Gemeinden zum Problem werden kann, die ihr Trinkwasser gewinnen, indem sie das Flusswasser aufbereiten», sagt Jens Strauss.
Quelle: AWI, Bremerhaven