Friedhof in Alaska enthüllt Neues zur Besiedlung der Arktis
Die Besiedlungsgeschichte der Arktis bietet immer noch viel Unbekanntes. Mit Hilfe von neuen Methoden und moderner Technik versuchen Wissenschaftler, dem Ursprung arktischer Völker auf die Spur zu kommen. Dabei hilft aber auch immer noch der Zufall, wie am Beispiel Alaska. In der Nähe des nördlichsten Ortes in Alaska wurden beim Umsiedeln von uralten Gräbern anhand von DNA-Proben festgestellt, dass dort der Ursprung der Thule, den Vorläufern der heutigen Inuit, liegt.
In der Nähe der nördlichsten Siedlung Alaskas, Utqiagvik, liegt einer der ältesten und am längsten besiedelten Areale des arktischen Nordamerikas. Nuvuk, was „Spitze“ oder „Punkt“ in der Sprache der Inupiat bedeutet, war über 1‘000 Jahre lang besiedelt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts lebten hier Menschen sukzessiv, von den Prä-Thule-Kulturen bis zu den modernen Inuits (Inupiat). Erst mit der Erosion des Kiesstrandes und dem Bau einer neuen Siedlung im westlichen Stil wurde die Stelle aufgegeben. Dabei wurden aber viele Überbleibsel aus der Vergangenheit zurückgelassen. Vor 20 Jahren begannen die Kräfte der Natur dann, die Klippen nördlich der Siedlung abzutragen. Dabei bedrohten sie die alten Grabstätte von Nuvuk, die hunderte von Jahren benutzt worden war. Alarmiert durch die Bedrohung beschlossen die Verantwortlichen der Gemeinde, dass ein sichererer Ort für die sterblichen Überreste notwendig werden würde. Dabei wurde auch beschlossen, zwei wichtige Aspekte zu beachten. Das Eine ist der respektvolle Umgang mit den Überresten, das andere eine wissenschaftliche Untersuchung der Knochen, um mehr über die Herkunft der Inupiat herauszufinden. „Die Zahl der gefundenen Gräber und die Daten weisen darauf hin, dass Point Barrow spezifisch und das Walfanggebiet entlang der Nordküste Alaskas im Generellen nicht einfach ein Nebenschauplatz im Rahmen der Entwicklung und Verbreitung der Thule-Kultur waren“, schreibt Anne Jensen, eine Anthropologin in Utqiavik in ihrer Arbeit über die Gräber. „Sie zeigen klar eine wichtige und kontinuierliche Besiedlung von Nuvuk und der Barrow-Region.“ Bisher wurden 85 Gräber entdeckt, was die Stelle zum bisher grössten bekannten Thule-Friedhof in Nordamerika macht.
Die Thule, die um etwa 1000 AD im nördlichen Alaska lebten, sind die Vorläufer der heutigen Inupiat, der modernen Inuit, und wanderten ab ca. 1200 nach Osten. Die neue genetische Studie, die an 39 individuellen Überresten vom Friedhof bei Nuvuk stammten, liefern neue Erkenntnisse über den „genetischen Abdruck der Menschen aus einer Zeit und einem Ort, von dem wir bisher nicht viel wussten“, schreibt der Mitautor Justin Tackney, Anthropologe von der Universität Kansas. Zusammen mit zwei weiteren Autoren haben Jensen und Tackney ihre Resultate in der renommierten Zeitschrift American Journal of Physical Anthropology veröffentlicht. „Andere Regionen wie Tschukotka, Grönland und Kanada wurden viel besser untersucht als die Bevölkerung von Alaska, abgesehen von den Aleuten, der alaskischen Halbinsel und der südöstlichen Na-Dene-Sprachgruppe“, meint Tackney weiter. Er fügt an, dass unser Wissen über die Archäologie der Thule viel grösser ist als unser Wissen über ihren genetischen Abdruck. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass der mütterliche Genpool der ursprünglichen Bevölkerung Nuvuks mit derjenigen der modernen Inupiat und der Thule in Grönland und Kanada übereinstimmt. Das stützt die archäologischen Theorien, dass Point Barrow der richtige Ort und die richtige Zeit für den Ursprung der Thule ist“, erklärt Tackney. Die molekularen Untersuchungen wurden an den Überresten verschiedenster Zeitabschnitte vorgenommen, von 100 bis 1‘000 Jahren, heisst es in der Arbeit. Die Proben wurden aus kleinen Rippenfragmenten entnommen, die aus den Gräbern stammten und in mit der Genehmigung der Ältesten des Ortes in einem Labor in Utah untersuchten worden waren.
Tackney meint weiter, dass die wissenschaftliche Literatur über die Genetik der arktischen Völker viele Informationen beinhalteten, die nicht ihren entsprechenden Kontext eingebaut worden sind, was die Autoren mit der gegenwärtigen Studie verbessern wollen. Er erklärt, dass sie viele Datensätze durchgeschaut hatten und daraus schlossen, dass von allen amerikanischen Ureinwohner-DNA-Gruppen „nur gerade eine Handvoll in den arktischen und subarktischen Populationen zu finden sind“. „Durch das Aufarbeiten der Daten von rund 70 Populationen und tausenden von Menschen, haben wir nun ein besseres Bild erhalten, welche Haplogruppen (Gruppen mit einem Vorfahren) wo vorhanden und wie häufig sind. Ich kann nun mit Sicherheit sagen, dass die genetischen Daten klar bestätigen, dass der Thule-Ursprung an der Nordkante liegt“, obwohl noch weitere genetische Tests an noch älteren menschlichen Überresten notwendig wären, um zu klären, woher die früheren Ureinwohner einst stammten.
Quelle: Dermot Cole / Arctic Today