Nördliche Gletscherschmelzen beeinflussen auch die südlichen Gletscher
Eine Gletscherschmelze auf der einen Seite der Erde kann auf der anderen Seite des Globus ebenfalls Gletscher in Bewegung bringen. Das zeigt eine aktuelle Arbeit von AWI-Forschern, die eiszeitliche Ablagerungen von Meeresalgen untersucht und gestützt auf diese Daten Klimaberechnungen durchgeführt haben. Dabei aufgedeckte Prozesse sind beunruhigend: Bei weiterer Erwärmung der Ozeane können sie auch zum Abbau heutiger polarer Eismassen und zu einem raschen Anstieg des Meeresspiegels führen.
Wie die Wissenschaftler aus Bremerhaven im Fachjournal Nature berichten, löste während der letzten Eiszeit der massive Eintrag von Süßwasser in den polaren Nordatlantik über eine Kettenreaktion im Ozean und in der Atmosphäre eine starke Gletscherschmelze im Tausende Kilometer entfernten Nordpazifik aus. Quelle des Süßwassers waren schmelzende Eispanzer, die damals große Teile der Landmassen um den Nordatlantik bedeckten. Am Ende dieser Kettenreaktion stand das Eindringen von warmem Wasser in den pazifischen Küstenbereich des nordamerikanischen Kontinents, der in der letzten Eiszeit von einem Eisschild bedeckt war. Als Folge davon brachen Teile des Eisschildes ab und flossen als Eisbergflotille in den Pazifik. Diese Beobachtung ist für die AWI-Wissenschaftler beunruhigend. Durch die globale Erwärmung des Weltozeans wird am Rand des antarktischen Eises nämlich ein ähnlicher Prozess in Gang gesetzt: Andauernde Erwärmung könnte hier zu einer vergleichbaren Entwicklung führen, wie sie im östlichen Nordpazifikraum beobachtet worden ist. Werden Teile des antarktischen Eises destabilisiert, käme es in kurzer Zeit zu einer deutlichen Meeresspiegelerhöhung. Das Team um die AWI-Geowissenschaftlerin Edith Maier ist diesem Phänomen in einem aufwendigen Indizien-Prozess auf die Spur gekommen. Aufgrund von Sedimentproben vor Alaska vermuteten die Forscher mehrere Süsswassereinträge in Form von Gletscherschmelzen, einmal vor 16‘000 Jahren und einmal vor 38‘500 Jahren. Um diese These zu untermauern, wurde ein neues am AWI entwickeltes Analyseverfahren eingesetzt. Mit dieser Methode kann man darauf schließen, wie stark Meeresgebiete, zum Beispiel durch Schmelzwasser, ausgesüßt waren – und zwar mit Hilfe von Kieselalgen. Anhand einer Sauerstoff-Isotopen-Analyse der Überreste von alten Kieselalgenpanzer aus den Sedimenten am Meeresboden konnten die Wissenschaftler feststellen, zu welchen Zeiten das Wasser an der Meeresoberfläche durch Gletscherschmelze stark ausgesüßt war. „Tatsächlich zeigten unsere Analysen, dass südlich vor Alaska um 16.000 und 38.500 Jahren vor heute große Süßwassermengen eingetragen worden sind“, sagt Edith Maier.
Es ist bekannt, dass in diesen Zeiträumen auch die Oberfläche des Nordatlantiks durch starken Eintrag von Schmelzwasser aussüßte. Edith Maier kam deshalb auf die Idee, zu untersuchen, ob beide Phänomene über die globale Wassermassenzirkulation in Verbindung gestanden haben. Heute sind die Ozeane über die globalen Meeresströmungen in Verbindung. Vor 16.000 und 38.500 Jahren wurde das globale „Pumpsystem“ aber durch das Aussüßen des Nordatlantiks erheblich gestört. Als Folge konnte kaum noch warmes Wasser aus dem Pazifik abfließen und der tropische Pazifik wurde wärmer. Warmes Wasser aus tropischen Breiten gelangte verstärkt an die Westküste Kanadas und Alaskas, welche damals stark vergletschert war. Die Gletscher wurden instabil. Das Eis brach ins Meer ab. Der Nordpazifik süßte an der Wasseroberfläche aus. Zur Absicherung liess Edith Maier ihre Resultate durch Computermodelle verifizieren. Diese zeigten, dass die Schmelzwasserpulse im Atlantik der Auslöser der Veränderungen im Pazifik waren, nicht umgekehrt. „Unsere Ergebnisse sind auch für die Zukunft relevant, weil sie deutlich machen, wie stark sich Klimaeffekte auf der einen Seite der Erde auf andere Gebiete auswirken können“, sagt Edith Maier. „Welche Folgen vergleichbare Phänomene in Verbindung mit Einströmen von wärmerem Wasser auf die Stabilität der heutigen antarktischen Eisschilde haben, wird derzeit am AWI untersucht. Es gibt aber vermehrt Hinweise darauf, dass auch das antarktische Eis bei weiterer Ozeanerwärmung an Stabilität und Volumen verlieren wird.“
Quelle: Alfred-Wegener-Institut