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Grönlandwale in der Framstrasse mögens jazzig

Geschrieben von Dr. Michael Wenger am . Veröffentlicht in Fauna & Tierwelt.

Singende Wale? Vergesst Buckelwale und konzentriert euch auf Grönlandwale. Die langlebigste Meeressäugerart hat nämlich ein breiteres und vielfältigeres Gesangsspektrum, zumindest die Tiere der Framstrasse zwischen Svalbard und Grönland. Eine Studie von mehreren Forschern der Universität Washington kam zu diesem Schluss nach einer vierjährigen Abhöraktion bei Grönlandwalen.

Grönlandwale sind echte Eisliebhaber und verbringen viel Zeit an der Eiskante und im Eis auf Nahrungssuche. Mit ihrer dicken, geschützten Spitze des Oberkiefers können die Tiere sogar dickes Eis durchbrechen und sich ihre eigenen Luftlöcher schaffen. Bild: Heiner Kubny
Grönlandwale sind echte Eisliebhaber und verbringen viel Zeit an der Eiskante und im Eis auf Nahrungssuche. Mit ihrer dicken, geschützten Spitze des Oberkiefers können die Tiere sogar dickes Eis durchbrechen und sich ihre eigenen Luftlöcher schaffen. Bild: Heiner Kubny

In einer Studie der Universität Washington wurde der grösste Aufnahmesatz von Grönlandwalgesängen veröffentlicht. Dadurch fanden die Forscher heraus, dass diese Meeressäuger eine überraschend breite und sich immer wieder verändernde Vokalisierung oder eben Gesänge aufweisen. Die Studie wurde Anfang April in der Fachzeitschrift Biology Letters veröffentlicht und analysierte ganzjährige Audioaufnahmen aus dem Osten Grönlands. Die dortige Grönlandwalpopulation wurde bereits im 17. Jahrhundert beinahe ausgerottet. Einer neueren Schätzung zufolge leben noch etwa 200 Tiere in diesem Gebiet. Doch die Audiodaten, die zwischen 2010 und 2014 aufgenommen worden waren, weisen auf eine gesunde Population hin und beinhalten 184 verschiedene Gesänge. «Wenn Buckelwalgesänge wie klassische Musik sind, dann sind die der Grönlandwale Jazz», sagt Hauptautorin Kate Stafford von der Uni Washington. «Die Gesänge sind mehr freistil-ähnlich. Ausserdem zeigten die Daten aus vier Wintersaisons, dass die Gesänge nicht nur nie zwischen den Jahren wiederholt worden sind, sondern dass jede Saison ein neuer Satz von Gesängen entstand.»

Grönlandwale werden in 5 Populationen eingeteilt. Die untersuchte Framstrasse-Gruppe ist die kleinste und am meisten bedrohte Population. Wissenschaftler schätzen sie auf rund 200 Tiere zwischen Svalbard und Grönland. Die grösste Population lebt in der westlichen Arktis (Beringstrasse) mit über 10'000 Tieren. Bild: Michael Wenger
Grönlandwale werden in 5 Populationen eingeteilt. Die untersuchte Framstrasse-Gruppe ist die kleinste und am meisten bedrohte Population. Wissenschaftler schätzen sie auf rund 200 Tiere zwischen Svalbard und Grönland. Die grösste Population lebt in der westlichen Arktis (Beringstrasse) mit über 10'000 Tieren. Bild: Michael Wenger

Stafford hat schon an vielen Orten der Welt Walgesänge aufgenommen, um so die Tiere verfolgen und studieren zu können. Sie entdeckte die Gesänge der Grönlandwale erstmals in Westgrönland vor zehn Jahren. In einer Studie von 2012 an den Tieren um Svalbard herum konnte sie zeigen, dass die Wale kontinuierlich auch im Winter während der Fortpflanzung singen. Dies war ein erster Hinweis auf eine gesunde Population in der Gegend. «Wir hofften auf ein paar Geräusche, als wir damals die Hydrophone ins Wasser gesteckt hatten», erklärt Stafford zur früheren Studie. «Als wir die Gesänge hörten, war es atemberaubend: Grönlandwale sangen wirklich laut, 24 Stunden am Tag, von November bis April. Und sie hatten viele verschiedene Gesänge.» Die neue Arbeit baut den ursprünglichen Datensatz aus und bestätigt, dass die Grönlandwale dieser Region regelmässig vom Spätherbst bis in den Frühling hinein singen. Die Unterwassermikrophone belegen, dass in den letzten Jahren die Zahl sogar zugenommen hat. Doch was noch viel mehr erstaunt, ist die unablässige Variabilität der Gesänge, anders gesagt: Die musikalischen Sätze. Die andere Walart, die solch komplizierte Gesänge aufweist, sind Buckelwale, die vor allem in Mexiko und Hawaii untersucht werden. Die melodiösen Buckelwalgesänge sind für jede Population von Bullen einheitlich und verändern sich nur leicht währen der Fortpflanzungszeit im Winter. Jede Population bringt einen neuen Gesang im Frühling. «Man dachte aufgrund der eingeschränkten Daten aus dem Frühjahr, dass Grönlandwale dasselbe tun würden», meint Stafford weiter. «Doch die Aufnahmen aus dem Jahr 2008 waren ein Vorgeschmack und mit den neuen Daten wissen wir, dass Grönlandwalgesänge komplett verschieden von den Buckelwalgesängen sind.»

Die Karte der Framstrasse zeigt den Standort des Hydrophons zwischen 2010 – 2014. Das Hydrophon wurde in rund 80 Meter Tiefe gesetzt und verankert. Dort ist das Meer mehr als 1'000 Meter tief. Karte: Kate Stafford, Universität Washington
Die Karte der Framstrasse zeigt den Standort des Hydrophons zwischen 2010 – 2014. Das Hydrophon wurde in rund 80 Meter Tiefe gesetzt und verankert. Dort ist das Meer mehr als 1'000 Meter tief. Karte: Kate Stafford, Universität Washington

Tiergesänge sind nicht dasselbe wie Rufe, weil die Gesänge aus komplexen, bestimmten Musiksätzen bestehen, die erlernt werden müssen. Viele Vogel- und Säugerarten benutzen Gesänge unter anderem zur individuellen Identifizierung innerhalb einer Gruppe. «Bei Meeressäugern läuft alles über die Akustik», erklärt Kate Stafford. «Menschen sind vor allem visuelle Tiere, doch Meeressäuger leben in einem dreidimensionalen Habitat, in dem Geräusche und akustische Informationen zur Navigation dienen, ihnen die Nahrung zeigt und mit denen sie kommunizieren.» Singende Wale nutzen Gesänge beispielsweise bei Konkurrenz auf der Suche nach Partnern, ähnlich wie Vögel. Doch man weiss wenig über die Gesänge von Grönlandwalen: ob nur Bullen singen, ob Individuen Gesänge teilen, und, besonders wichtig, warum ihre Gesänge die ganze Zeit sich verändern. «Warum verändern die Tiere kontinuierlich Ihre Gesänge», fragt sich Stafford. «Im Rahmen von Verhaltensökologie ist die ein grosses Geheimnis.» Die neuen Daten weisen auf Ähnlichkeiten zu Kuh- und Lerchenstärlinge hin. Dies sind Vogelarten, die ein diverses, sich immer änderndes Repertoire von Gesängen lernen, weil wahrscheinlich ist, dass Neues ein Vorteil ist. «Grönlandwale zeigen dieses Verhalten im Winter während der 24-Stunden Dunkelheit und 95 – 100 Prozent Eisbedeckung. Also ist das nicht einfach zu entschlüsseln», sagt Stafford weiter. «Wir hätten niemals davon erfahren ohne die neue Technologien bei akustischem Monitoring.» Ein gegenwärtiges Projekt mit Satelliten-Tags an Grönlandwalen könnte helfen, das Geheimnis zu lösen, warum die Tiere zu solch virtuosen Sängern geworden sind. «Grönlandwale sind wahre Superlative: Sie werden über 200 Jahre alt, haben die dickste Fettschicht aller Wale, die längsten Barten und sie brechen durch Eis», bewundert Stafford. «Und man denkt sich: Die Tiere haben sich genau so entwickelt, um all diese Dinge tun zu können oder zu haben. Ich weiss nicht wieso sie so bewundernswert singen, aber es muss einen Grund geben.»

Quelle: University of Washington