Sprung ins Glück: Warum Lummenküken sich in die Tiefe stürzen
Ein Lummenküken zu sein ist schon schwer. Man wächst auf einem kleinen Felssims auf einer hohen Klippe in der Arktis auf, umringt von Tausenden von Vögeln, wird Füchsen und Eismöwen und sogar Eisbären gejagt. Doch noch schlimmer ist es, wenn man sich bis zu hundert Meter und mehr in die Tiefe stürzen muss, bevor die Flügel ausgewachsen sind. Dieses Verhalten, der Lummensprung, hat Wissenschaftler immer wieder beschäftigt. Nun scheint man eine Antwort darauf gefunden zu haben.
Man hat früher angenommen, dass Lummenjunge aufs Meer gehen, wenn sie etwa ein Viertel der Erwachsenengrösse erreicht haben und somit gross genug zur Selbstverteidigung und zu gross für die Kolonie geworden sind. Dadurch erachtete man diesen todesmutigen Sprung in die Tiefe als einen Kompromiss zwischen der Sicherheit der Kolonie und dem schnellem Wachstum auf dem Meer, wo das Nahrungsangebot grösser ist. Doch nachdem nun ein internationales Team von Forschern das Verhalten von Lummenvätern und ihren Jungen während sechs Wochen in Nunavut (Kanada), Grönland und auf Inseln vor der Küste von Neufundland verfolgen konnte, fanden die Forscher heraus, dass die Todesrate zwischen den Küken auf See und denjenigen in den Kolonien ähnlich war. Mehr noch, die Wissenschaftler aus Kanada und Dänemark fanden heraus, dass die Küken auf See rund etwa zweimal so schnell wie ihre Verwandten an Land wachsen, da die Väter nicht mehr zwischen den Nahrungsgebieten und den Kolonien pendeln mussten, um die Jungen zu füttern.
Ungewöhnlicherweise, nachdem die Eltern sich drei Wochen lang um den Nachwuchs gekümmert haben, übernimmt der Vater die Fürsorge auf dem Meer. Währenddessen vergnügt sich das Weibchen in der Kolonie mit anderen Männchen, um einen etwaigen Nachfolger zu finden, falls das Männchen nicht zurückkehrt im nächsten Jahr. Die Studie belegt die harte Arbeit des Vaters, denn das Team notierte, dass die Männchen bis zu sechs Stunden pro Tag unter Wasser verbrachten, während es die Weibchen gerade mal auf ein bis zwei Stunden brachten. „Der arktische Sommer ist kurz“, erklärt Kyle Elliot von der McGill Universität und Hauptautor der Studie. „ Die Weibchen müssen schnell ein Ei produzieren. Und Lummen haben die höchsten Energiekosten für das Fliegen. Da also die Weibchen auch noch viel Energie für die Nahrungssuche aufwenden, sind sie mitten im Sommer bereits ausgepumpt. Doch es war erstaunlich zu sehen, wie die Männchen den ganzen Sommer durch hart gearbeitet hatten für den Nachwuchs und praktische jede Minute mit der Nahrungssuche verbracht hatte.“
„Wenn man nun weiss, dass es sowohl höhere Wachstumsraten für die Küken auf See bedeutet und gleichzeitig ähnliche Überlebenschancen auf dem Wasser wie in der Kolonie, macht es Sinn, einen scheinbar todesverachtenden Sprung in die Tiefe zu wagen – Eine Win-Win-Strategie wenn es ums Überleben geht“, meint Elliot weiter. Seine Studie wurde am 8. März auf The American Naturalist veröffentlicht. „Doch wir wären nie in der Lage gewesen, dies herauszufinden ohne die neuesten Aufnahmegeräte, die es gibt und uns dadurch einen Blick auf das Leben der Lummen auf hoher See ermöglicht hatten.“
Quelle: McGill University