Eisbären sind älter als angenommen
DNA-Studien weisen darauf hin, dass sich Eisbären von ihren nächsten Verwandten, den Braunbären vor etwa 600'000 Jahren abgetrennt haben. In der Vergangenheit ging man von einer Trennung von lediglich 150'000 Jahren aus. Dies führte dazu, dass man lange Eisbären als sehr anpassungsfähig betrachtet hatte, da sie sich innert kürzester Zeit an die extremen Lebensbedingungen der arktischen Regionen angepasst hatten. Dieser Mythos des «Überlebenskünstlers» hat nun wohl sein Ende gefunden. Naturschützer sagen nun, dass die Resultate dieser neuen Studie, die in einer Ausgabe von «Science» publiziert wurde, Auswirkungen auf die Schutzmassnahmen haben müssen. Eisbären gelten als bedroht und stehen auf der roten Liste der IUCN. Auch die USA hatten erst vor kurzem die Art als bedroht anerkannt und unter Schutz gestellt. Vor allem der Verlust ihres Lebensraumes durch das Abschmelzen des Meereises ist der Grund, warum das Überleben der Eisbären fraglich ist.
Dr. Frank Hailer vom deutschen Zentrum für Biodiversität und Klimaforschung in Frankfurt, der die Studie leitete, meint, dass die genetischen Informationen ein neues Licht auf die Schutzbestimmungen werfen. In einem Interview mit BBC News meint er: «Es verändert fundamental unser Verständnis und Wissen über Eisbären und ihren Schutz. Sie haben zwar frühere Warmphasen überlebt, aber tragen Narben aus dieser Zeit. Wahrscheinlich standen sie schon früher kurz vor dem Aussterben.»
Die Forschungsgruppe um Dr. Hailer untersuchte die DNA von heutigen Bären um die Geschichte der Arten zu rekonstruieren. Dabei konzentrierten sie sich auf die genetischen Informationen aus den Zellkernen von über 40 Braun-, Schwarz- und Eisbären. Frühere Studien hatten sich hauptsächlich auf die mitochondriale DNA fokussiert. Dabei handelt es sich um Fragmente von genetischem Material, welches in den Mitochondrien, den Kraftwerken von Zellen, zu finden sind und hauptsächlich von der Mutter stammen.
Aufgrund der Resultate gehen die Forscher davon aus, dass sich Eisbären vor etwa 600'000 Jahren, also während des Pleistozäns, entwickelt haben. Dieses Szenario zeichnet ein neues Bild von der evolutionären Geschichte von Eisbären. Die Tierart hatte dadurch mehr Zeit, die arktischen Gebiete zu besiedeln und sich an die harschen Bedingungen anzupassen. Sie durchlebten dadurch auch mehrere Zyklen von Warm- und Kaltphasen im Laufe ihrer Evolution. Ein weiteres Resultat der Studie war das Fehlen von genetischer Vielfalt bei Eisbären, was darauf hinweist, dass Veränderungen in ihrer Umwelt, wie beispielsweise plötzliche Warmphasen, ihre Zahl stark dezimiert haben muss. Das Forscherteam meint, dass die zusätzlichen Bedrohungen, denen sie heute ausgesetzt sind, wie beispielsweise Lebensraumzerstörung, Jagd und Umweltverschmutzung, die Tierart stärker als jemals zuvor unter Druck setzt. Im Artikel in «Science» erklären sie: «Obwohl Eisbären frühere Warmphasen überstanden haben, können die vielfältigen, vom Menschen verursachten Stressfaktoren, zum Beispiel Lebensraumveränderungen, Verfolgung und Anreicherung von toxischen Substanzen in der Nahrungskette den Einfluss der momentanen Klimaveränderungen verstärken und so eine neue und wahrscheinlich tiefgreifende Bedrohung für das Überleben von Eisbären bedeuten.»
Dr. Steven Amstrup, der wissenschaftliche Leiter von «Polar Bears International», meint zu den Resultaten der Studie, er nehme an, dass die Debatte um das evolutionäre Alter von Eisbären noch nicht ganz vom Tisch sei. Auch wenn sie sich vor 600'000 Jahren abgezweigt seien, hätten sie lediglich zwei Perioden durchlebt, die wärmer gewesen seien als heute, und somit die meiste Zeit kühlere Umgebungen erlebt. Er fügt hinzu: «Es weist weiter darauf hin, dass Eisbären stark an ihre kalte Umwelt angepasst sind und dass sie noch keine Wärmephasen durchgemacht haben, wie wir sie in den nächsten 100 Jahren wahrscheinlich zu erwarten haben.»