Kohleabbau auf Spitzbergen als sicherheitspolitisches Mittel Norwegens
Trotz steigenden Zahlen im Tourismussektor ist der Kohleabbau auf Spitzbergen immer noch die wichtigste Geldquelle für die Bevölkerung. Die norwegische Regierung hat nun beschlossen, die finanziellen Zuwendungen für diese umstrittene Rohstoffgewinnung weiterzuführen. Dieser Entscheid scheint weniger durch ökonomische als mehr durch sicherheitspolitische Argumente getroffen worden sein.
Umweltverbände laufen schon seit geraumer Zeit gegen die Kohleförderung auf Spitzbergen Sturm. Auch die Uno-Exekutivsekretärin für die Klimarahmenkonvention, Christina Figueres, bezeichnete vergangenes Jahr den dortigen Bergbau als «inkongruent» mit der Rolle, die der Spitzbergen-Archipel als Standort für die Klimaforschung spiele. Die arktische Inselgruppe stelle ein fragiles Ökosystem dar, das durch den Kohlebergbau belastet werde. Zudem habe Norwegen als reiches Land eine gewisse Pflicht, beim Klimaschutz mit gutem Beispiel voranzugehen, lautet etwa die Argumentation. Umso mehr, als Norwegen gerne andere Länder dazu ermuntert, den Kohlebergbau aus ökologischen Überlegungen zu reduzieren. Neben der fragwürdigen Umweltbilanz ist der Kohlebergbau auch ökonomisch fragwürdig. Erst vor einem halben Jahr wurden knapp hundert Arbeiter der Gesellschaft Store Norske, die auf Spitzbergen die Kohle fördert, entlassen: etwa ein Viertel der Belegschaft. Sinkende Kohlepreise und der Zwang zur Effizienzsteigerung hatten den Schritt nötig gemacht. Auf rein wirtschaftlicher Basis wäre die Gesellschaft nicht lebensfähig.
Doch auch mit reduzierter Belegschaft ist Store Norske auf Spitzbergen der mit Abstand wichtigste Arbeitgeber. Tourismus und andere Aktivitäten haben bisher keinen vollwertigen Ersatz bieten können. Angesichts des zunehmend forschen Auftretens Russlands in der Arktis scheint es der norwegischen Regierung wichtiger, eine Entvölkerung des unter ihrer Jurisdiktion stehenden Archipels zu verhindern, auch wenn dies Geld aus dem Haushalt kostet, weil die Kohlemine subventioniert werden muss. Es sind damit die sicherheitspolitischen Aspekte, die für Oslo bei der Spitzbergen-Frage die Gangart bestimmen. Spitzbergen ist auf der Grundlage eines internationalen Vertrags von 1920 eine entmilitarisierte Zone, zu der alle Signatarstaaten des Abkommens ungehinderten Zugang haben. Russland unterhält mit der Siedlung Barentsburg einen Aussenposten auf dem Archipel, sogar einschliesslich eines Konsulats. Mit einer Zwischenlandung des auf westlichen Sanktionslisten stehenden Vizeministerpräsidenten Rogosin Mitte April auf Spitzbergen nahm Moskau eine Verstimmung mit Oslo in Kauf – oder provozierte sie vorsätzlich –, um zu demonstrieren, dass man sich keine Vorschriften gefallen lasse.
Der Spitzbergen-Vertrag schreibt die Souveränität über das Gebiet Norwegen zu, das seinerseits wiederum den Signatarstaaten ökonomische Tätigkeit auf gleichberechtigter Basis ermöglichen muss. Das kann so lange funktionieren, als der Vertrag von den Signataren auf der Basis des guten Willens eingehalten wird. Eine Atmosphäre der Konfrontation könnte ihn rasch aus diesem labilen Gleichgewicht kippen.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung