Kanadische Moose erzählen vergangene Klimageschichten
Die Arktis ist der am schnellsten sich erwärmende Ort der Welt. Doch Wärmezyklen traten auch schon in der Vergangenheit auf und Klimaforscher sind stets auf der Suche nach Informationen über diese vergangenen Klimageschichten. Einige Moosarten in der östlichen kanadischen Arktis, die lange im Eis eingeschlossen waren, treten nun ans Sonnenlicht aufgrund der globalen Erwärmung. Und die Radiokarbonmethode mit diesen Pflanzen zeigt, dass die jetzigen Sommertemperaturen in der Region die höchsten in den vergangenen zehntausenden von Jahren gewesen sind.
Weil sich der Planet erwärmt und das Eis sich auch auf Baffin Island zurückzieht, kommen nun Pflanzen zum Vorschein, die lange vergraben waren. Und an einigen Stellen sahen diese Pflanzen vor mindestens 45‘000 Jahren zum letzten Mal, vielleicht auch sogar vor 115‘000 Jahren. Der Paläoklimatologe Gifford Miller von der Universität Colorado präsentierte seine Resultate Ende Oktober am Treffen der Geologischen Gesellschaft von Amerika. „Wir waren erstaunt,“ erklärte Miller. Millers Team hatte eine beeindruckende Zahl von Proben gesammelt und ihre Resultate sind sehr vielversprechend, meint Geomorphologe Lee Corbett von der Universität Vermont. „Es ist tatsächlich ein Indiz dafür, dass der Mensch das Klima in eine neue Richtung drückt, und zwar in eines, dass der moderne landwirtschaftlich-basierte Mensch noch nie zuvor erlebt hat.“
Um das Wachstum und den Rückgang der Eisdecke in der Region zu erforschen, suchten Miller und seine Kollegen Überbleibsel von Moosbetten entlang der Eiskanten. Daten aus Radiokarbonmessungen der aufgetauchten Pflanzen entsprechen mit dem Zeitpunkt, als die Moose zum letzten Mal mit der Atmosphäre in Kontakt gewesen waren und somit Sonnenlicht erfahren hatten. Bis anhin hat Millers Team mehr als 370 verschiedene Altersklassen von Pflanzen gesammelt. Die Klassen repräsentieren jeweils eine Ära, als das Eis sich auf der Insel ausgebreitet hatte und die Pflanzen überzog. Eine Gruppe datiert aus einer Zeit vor rund 3‘700 Jahren, eine andere vor 900 Jahren und eine dritte aus dem Jahr um 1450, was mit der „Kleinen Eiszeit“ von damals korrespondiert. Doch in einigen Regionen waren die Pflanzen so alt, dass kein Radiokarbon mehr darin zu finden war. Karbon, oder Kohlenstoff, besitzt drei Isotopenformen, aber nur eine, das C-14, ist radioaktiv und besitzt eine Halbwertszeit von 5‘730 Jahren. Das bedeutet, dass nach dieser Zeit die Hälfte der Ursprungsmenge an C-14 in einer Probe verschwunden ist. Dadurch kann man errechnen, dass nach 45‘000 – 50‘000 Jahren praktisch alles C-14 aus einem Objekt zerfallen ist. In grösseren Höhen fanden Miller und sein Team Moose mit sogenanntem „toten“ Radiokarbon an Stellen, die lange Zeit von der Eiskappe bedeckt gewesen waren und jetzt wegschmelzen. Da die Radiokarbon-Uhr nach 50‘000 stoppt, konnte nicht genau bestimmt werden, wann diese Stellen das letzte Mal eisfrei gewesen waren. Aber mit Hilfe eines Eiskerns aus dem gegenüberliegenden Grönland konnte bestimmt werden, dass der Planet zwischen 45‘000 und 115‘000 Jahren eine kontinuierliche Kälteperiode erfahren hatte. Das fällt in den Zeitpunkt, als die letzte warme Zwischeneiszeit endete, erklärt Miller.
Ursprünglich erwarteten die Forscher Pflanzen, die sie in das Mittelalter zurückdatieren konnten, was gezeigt hätte, dass es jetzt wärmer als im Mittelalter sei. Doch 3‘700 Jahre alte Pflanzen zu finden, war eine grosse Überraschung, meint Miller. Und er ergänzt: „We hatten nicht im Traum daran gedacht, dass wir sogar 40‘000 Jahre alte Pflanzen finden würden. Das ist ein bisschen unheimlich, da es ein quantitativer Beweis ist, dass die Grösse der Sommerhitze jetzt bereits genug ist, um das ganze Eis in der kanadischen Arktis zu schmelzen. Es ist also jetzt nur noch eine Frage der Zeit.“
Quelle: Carolyn Gramling, Science News